Picky Eater - Hochsensible Kinder und Essen: Warum Vertrauen wichtiger ist als Druck

Veröffentlicht am 22. März 2025 um 10:30

 

Essen ist für hochsensible Kinder nicht nur eine körperliche Notwendigkeit, sondern auch eine sensorische Erfahrung, die schnell überfordernd sein kann. Viele von ihnen gelten als "Picky Eaters" – wählerische Esser, die nur bestimmte Lebensmittel akzeptieren und Neues oft ablehnen.

 

Für Eltern und pädagogische Fachkräfte kann das eine Herausforderung sein, denn die Sorge um eine ausreichende Nährstoffversorgung ist groß. Doch Druck oder Manipulation führen selten zum Erfolg. Im Gegenteil: Sie können das Vertrauen des Kindes beeinträchtigen und das Essverhalten negativ beeinflussen. Ein einfühlsamer, verständnisvoller Umgang ist daher der Schlüssel, um hochsensible Kinder dabei zu unterstützen, eine gesunde und entspannte Beziehung zum Essen zu entwickeln.

Essen ist einer der wenigen Bereiche, in denen Kinder selbst bestimmen können. Hochsensible Kinder, die sich oft von ihrer Umwelt überfordert fühlen, nutzen manchmal das Essen als Möglichkeit, Kontrolle über ihre Umgebung zu behalten, indem sie sich weigern, bestimmte Speisen zu essen.

 

 

 

Warum tun sich hochsensible Kinder mit dem Essen schwer?

 

Hochsensible Kinder nehmen ihre Umwelt intensiver wahr als andere. Während für manche Kinder eine volle Kita oder Mensa einfach ein lebendiger Ort der Kommunikation und Interaktion ist, kann sie für hochsensible Kinder eine Reizüberflutung bedeuten. Ein hektisches oder lautes Umfeld beim Essen kann schnell überfordern. Wenn der Esstisch chaotisch ist oder zu viele Reize (z. B. laute Gespräche, grelles Licht) auf sie einprasseln, kann das ihre Bereitschaft, neue Lebensmittel zu probieren, stark verringern. Geräusche, Stimmengewirr und Essensgerüche können dazu führen, dass sie sich innerlich abschotten und kaum etwas essen (können). Ihr Nervensystem bleibt jedoch hochaktiv, und ohne ausreichend Energie kann es schnell zu einer Unterzuckerung kommen, die sich in Gereiztheit, Erschöpfung und plötzlichen Wutausbrüchen äußern kann.

 

Das Nervensystem hochsensibler Kinder reagiert besonders empfindlich auf Stress. Wenn sie emotional belastet sind (z. B. durch Konflikte am Tisch oder durch Druck, etwas zu essen), kann das ihre Verdauung beeinträchtigen und zu Magen-Darm-Problemen führen. Das wiederum verstärkt ihre Abneigung gegenüber bestimmten Lebensmitteln.

 

Auch die Beschaffenheit von Speisen spielt eine große Rolle. Hochsensible Kinder nehmen Geschmäcker, Gerüche, Texturen und sogar die Temperatur von Speisen intensiver wahr als andere. Eine ungewohnte oder unangenehme Konsistenz (z. B. schleimige Pilze oder faseriges Fleisch) kann für sie so überwältigend sein, dass sie das Essen komplett verweigern. Auch kleinste Geschmacksnuancen, die andere nicht wahrnehmen, können für sie unangenehm sein.

 

Viele hochsensible Kinder mögen keine Mischgerichte wie Eintöpfe oder Aufläufe, weil sie darin die einzelnen Zutaten nicht klar erkennen und schmecken können. Werden die Komponenten jedoch getrennt serviert, sind sie eher bereit, neue Lebensmittel auszuprobieren. Ein Mix aus unterschiedlichen Konsistenzen und Geschmäckern kann zu einer Ablehnung dieser Speisen führen, da sie Sinneseindrücke intensiver erleben. Auch kleinste Rezepturänderungen bleiben ihnen nicht verborgen, sodass eine gewohnte Lieblingsspeise plötzlich nicht mehr akzeptiert wird.

Ein weiteres zentrales Thema ist das Körpergefühl

 

Hochsensible Kinder haben oft eine feine Wahrnehmung dafür, was ihnen guttut und was nicht. Wenn sie ein bestimmtes Lebensmittel ablehnen, steckt häufig mehr dahinter als bloßes wählerisch sein. Ihr Körper gibt ihnen möglicherweise Signale, dass eine bestimmte Konsistenz, ein Geschmack oder eine Zutat für sie unangenehm oder sogar unverträglich ist.

Wenn Erwachsene sie unter Druck setzen oder „sich durchsetzen“ wollen (erst ein Löffel Suppe- dann gibt es Nachtisch), verlieren sie den Zugang zu dieser wichtigen inneren Orientierung.

Hochsensible Kinder verbinden oft starke Emotionen mit bestimmten Erfahrungen. Eine negative Erfahrung mit einem bestimmten Essen (z. B. Übelkeit nach Brokkoli) kann dazu führen, dass sie dieses Essen dauerhaft ablehnen. Sie haben ein ausgeprägtes Erinnerungsvermögen und meiden Lebensmittel, die sie mit einem schlechten Gefühl verbinden.

Hochsensible Kinder brauchen oft länger, um sich an neue Eindrücke zu gewöhnen. Wenn ein Lebensmittel neu ist, bedeutet das Unsicherheit und Unsicherheit empfinden sie oft als äußerst unangenehm. Viele bevorzugen daher immer wieder dieselben Speisen, weil diese ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben.

Manch einer wäre ein geborener Sommelier, da Hochsensible feinste Geschmackssnuancen herausschmecken können. So registrieren sie kleinste Rezepturänderungen. Ein Beispiel: Die Leberwurst einer bestimmten Marke wurde vom Kind immer akzeptiert und gerne gegessen, bis die Rezeptur verändert wurde. Dem kleinen Feinschmecker bleibt das nicht verborgen und so fällt die Leberwurst aus dem ohnehin schon spärlichen Speiseplan zukünftig weg.

 

Picky Eating als offizielle Diagnose

 

Dass manche Kinder extrem wählerisch beim Essen sind, ist inzwischen medizinisch anerkannt. Die ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten) listet unter F98.3 die "Fütterstörung im frühen Kindesalter" auf, die mit ausgeprägtem wählerischen Essverhalten einhergehen kann. In der aktuellen ICD-11 wurde daraus die ARFID-Diagnose (Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder), die besonders Kinder betrifft, die nicht aus Lust oder Trotz wählerisch sind, sondern weil sie eine tatsächliche sensorische Überempfindlichkeit oder Angst vor bestimmten Konsistenzen oder Geschmäckern haben.

Diese Klassifizierung macht deutlich, dass Picky Eating weit mehr als eine "Laune" oder "Anstellerei" ist. Es ist eine tief verwurzelte Reaktion, die ernst genommen werden sollte – ohne Druck oder Bestrafung.

 

Quellen:

 

https://www.icd10data.com/ICD10CM/Codes/R00-R99/R50-R69/R63-/R63.39

 

https://www.aok.de/pk/magazin/ernaehrung/lebensmittel/picky-eater-sind-unter-kindern-weit-verbreitet/

 

 

Warum Druck beim Essen nicht hilft

 

Viele Erwachsene versuchen, Kinder mit Tricks oder Belohnungen zum Essen zu motivieren:

„Ein Löffel für Mama, ein Löffel für Papa!“

„Wenn du dein Gemüse aufisst, gibt es danach ein Eis.“

„Du musst erst probieren, sonst gibt es keinen Nachtisch.“

Für hochsensible Kinder sind solche Methoden kontraproduktiv. Sie spüren genau, wenn sie manipuliert werden, und reagieren darauf mit Frustration oder Rückzug.

Der Druck, der beim Essen empfunden wird, kann als übermächtig empfunden werden. In ihrem Inneren wissen sie, das sie essen müssen und sie empfinden Hunger. Druck erzeugt jedoch Stress und in der Stressreaktion ist keine Nahrungsaufnahme möglich.

Noch schlimmer: Sie lernen dabei, gegen ihr eigenes Körpergefühl zu handeln, ein Muster, das später zu Essstörungen führen und sich auch in anderen Lebensbereichen fortsetzen kann.

Gerade bei hochsensiblen Kindern sind Zwang oder ständiges Überreden eher kontraproduktiv. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sie von selbst neugierig werden, wenn man sie in ihrem eigenen Tempo lässt. Wenn sie spüren, dass sie ernst genommen werden und nicht kämpfen müssen, kann sich die Abneigung mit der Zeit auflösen.

 

Wenn ein Kind gezwungen wird, etwas zu essen, das sich für es nicht richtig anfühlt, verliert es das Vertrauen in seine eigene Wahrnehmung. Dabei ist genau dieses Vertrauen entscheidend, um ein gesundes Essverhalten zu entwickeln.

 

 

Was hilft wirklich?

 

  • Eine ruhige und sichere Umgebung schaffen
    Hochsensible Kinder suchen sich oft bewusst einen ruhigen Moment zum Essen und eine vertraute Bezugsperson, die ihnen Sicherheit gibt. Eine entspannte Atmosphäre ist entscheidend
  • Kein Druck, kein Zwang
    Wer dem Kind Zeit lässt und entspannt bleibt, gibt ihm Raum, sich in seinem eigenen Tempo zu öffnen.
  • Speisen getrennt und in kleinen Portionen anbieten
    Statt Eintöpfen oder Aufläufen lieber die einzelnen Komponenten getrennt servieren, dann fällt das Probieren leichter. Kleine Portionen sind schon von der Optik besser zu bewältigen, als überfordernde große Portionen, „Das Auge isst mit“.
  • Kleine Schritte wertschätzen
    Auch ein winziger Löffel ist ein Erfolg. Positive Bestärkung ohne Zwang hilft dem Kind, sich langsam an neue Lebensmittel heranzutasten.
  • Den Blutzucker stabil halten
    Kleine, nahrhafte Snacks wie Nüsse, Datteln, Vollkornprodukte oder proteinreiche Lebensmittel helfen, Unterzuckerung zu vermeiden und Energie für den Tag zu liefern. Auch wenn das Kind nur Nudeln, oder nur Kartoffeln isst und sonst gar nichts ist das besser als im Stress nichts zu essen. In diesem Fall hat es wenigstens Kohlehydrate zu sich genommen und eine Unterzuckerung wird vermieden.
  • Selbstbestimmung ermöglichen: Das Kind mitentscheiden lassen (z. B. „Möchtest du das Gemüse roh oder gekocht? “), Portion selbst bestimmen lassen.
  • Positive Erlebnisse schaffen: Gemeinsames Kochen oder spielerisches Erkunden von Lebensmitteln kann Ängste abbauen.

 

 

Essenzielle Nährstoffe für hochsensible Kinder

 

Die ausreichende Versorgung mit Nährstoffen ist besonders für hochsensible Kinder  von großer Bedeutung, daher werde ich mich mit dieser Thematik demnächst in einer eigenen Blogreihe ausführlich beschäftigen. 

Hier ein kurzer und zusammenfassender Überblick:

Da viele hochsensible Kinder selektiv essen, sollte man einige essenzielle Mikronährstoffe im Blick behalten:

  • Omega-3-Fettsäuren (DHA & EPA) – für Gehirnleistung, Konzentration und emotionale Stabilität
  • Vitamin-B-Komplex (B1, B2, B3, B5, B6, B9, B12) – für ein starkes Nervensystem und Stressresistenz
  • Magnesium – für Entspannung und gute Schlafqualität
  • Zink & Eisen – für Immunsystem und Energiehaushalt
  • Vitamin D – für das Immunsystem und eine ausgeglichene Stimmung
  • Chrom – zur Stabilisierung des Blutzuckerspiegels

Falls bestimmte Nährstoffe über die Ernährung nicht ausreichend aufgenommen werden, kann eine gezielte Ergänzung sinnvoll sein. Es ist jedoch wichtig, Nahrungsergänzungsmittel für Kinder sorgfältig auszuwählen und auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen.

 

https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/projekt-klartext-nem/calcium-vitamin-d-omega3fettsaeuren-brauchen-kinder-nahrungsergaenzungsmittel-13322

 

 

Unterzuckerung und hochsensible Kinder in der Kita

 

Viele hochsensible Kinder essen in Kitas oder Schulen wenig bis gar nichts, weil ihnen das Umfeld zu unruhig ist oder sie sich einfach nicht entspannen können. Das kann zu Unterzuckerung führen, was die ohnehin schon hohe Reizempfindlichkeit noch verstärkt. Das hochsensible und hochaktive Nervensystem arbeitet ständig auf Hochtouren. Wenn sie dann in der Kita oder Schule kaum essen, kann das schnell zu Unterzuckerung führen.

 

Die Folgen sind:  

  • Plötzliche Gereiztheit oder Wutausbrüche, emotionale Instabilität
  • Zittrigkeit, Blässe, kalter Schweiß
  • Konzentrationsprobleme
  • Erschöpfung, Müdigkeit oder Hyperaktivität (paradoxe Reaktion)

 

Was hilft?

Solltet ihr beobachten, dass das Kind emotional plötzlich eskaliert, die Konzentration nachlässt, das Kind überdreht oder müde und schlapp wirkt, dann kann es helfen ihm etwas zu Essen oder zu Trinken anzubieten. Greift dabei auf etwas zurück, was das Kind auf jeden Fall akzeptiert, seien es Waffeln, ein süßes Getränk, ein Stück Obst, Joghurt, Pudding, … .

Um sich wieder fangen zu können braucht das Kind nun rasch verfügbare Kohlehydrate!

 

 

Vertrauen statt Kontrolle

 

Es gibt also viele Gründe, warum hochsensible Kinder oft als „Picky Eater“ gelten. Ihr Verhalten ist meist kein Trotz, sondern eine natürliche Reaktion auf ihre besonders feine Wahrnehmung. Die Kinder wollen euch nicht „austesten“ oder provozieren!

Hochsensible Kinder brauchen keine Essensspiele, keine Bestechung und keinen Zwang. Sie brauchen Respekt für ihre Wahrnehmung und ihr Tempo. Wer ihnen eine entspannte Umgebung bietet, auf Druck verzichtet und ihr Körpergefühl stärkt, schafft die besten Voraussetzungen für eine gesunde und ausgewogene Ernährung.

 

Denn irgendwann – wenn die Rahmenbedingungen stimmen und sie sich sicher fühlen öffnen sie sich von selbst. Und das ist viel mehr wert als jede erzwungene Gabel Gemüse.

 


"Hilf mir, es selbst zu tun. Zeig mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Habe Geduld, meine Wege zu begreifen. Vielleicht dauert es länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen."

 

Maria Montessori

 

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