Die Frage, „Woher kommt der Druck, den Jugendliche verspüren?“, wurde durch zahlreiche Leser des letzten Blogs angestoßen.
Hochsensible Jugendliche befinden sich in einer besonderen Lage: Ihre tiefgehende Wahrnehmung und Empfindsamkeit bieten große Chancen, können jedoch auch intensive Belastungen mit sich bringen. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist es hilfreich, die Hauptquellen des Drucks zu verstehen und ihnen bewusst zu begegnen. Alleine das Gefühl „ Meine Eltern/ Meine Lehrer verstehen mich“, nimmt ihnen Druck. Das heißt nicht, dass wir Erwachsenen den jungen Menschen alle Steine aus dem Weg räumen sollen. Wichtiger ist die Gewissheit „Ich muss das nicht alleine schaffen“ oder „Ich kann mir Helfer suchen“.
In meinem Blog beschreibe ich euch einige Ursachen des Drucks, jedoch kann diese Auflistung sehr individuell erweitert werden.
- Soziale Anpassung: Der Wunsch nach Zugehörigkeit
Jugendliche suchen Orientierung in ihrer Peergroup, doch für Hochsensible birgt dieser Prozess zusätzliche Herausforderungen.
„Einfach“ dazugehören ist nicht einfach: Hochsensible junge Menschen wirken aufgrund ihrer tiefen Gedankenwelt, ihrer Fähigkeit, Probleme aus vielen Perspektiven zu erfassen, ihrer Empathiefähigkeit und ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn oft reifer und ernster als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Das kann sie distanzierter wirken lassen.
Schwierigkeit bereiten oberflächlichen Themen: Es fällt ihnen oft schwerer, sich über scheinbar banale Dinge wie Modetrends oder die nächste Party zu unterhalten. Diese Unterschiede erschweren es, sich in sozialen Gruppen voll zu integrieren.
Der Wunsch, dazugehören zu wollen, steht in Spannung zur eigenen Authentizität.
- Perfektionismus: Der innere Antreiber
Viele hochsensible junge Menschen empfinden einen starken inneren Drang, Perfektion zu erreichen.
Sie haben das Gefühl „anders“ zu sein: Sie erkennen ihre Unterschiede zu Gleichaltrigen, möchten aber nicht auffallen. Ihre ausgeprägter Neigung zur Selbstreflexion und ihre Sensibilität für Kritik führen dazu, dass sie sich Kritik besonders zu Herzen nehmen.
Hohe Eigenansprüche: Sie setzen alles daran, Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit zu erfüllen, oft weit über das Notwendige hinaus. Dieses Bestreben, Fehler zu vermeiden, kann sie überfordern.
- Leistungsdruck: Die Schule als Stressfaktor
Das Bildungssystem fordert alle Jugendlichen heraus, doch Hochsensible nehmen diese Belastungen oft verstärkt wahr.
Eine Herausforderung ist die aktiven Mitarbeit: Obwohl sie gedanklich voll bei der Sache sind, hemmen sie oft innere Zweifel, sich zu Wort zu melden: „Meint die Lehrerin das so oder anders?“, „Wie erkläre ich das richtig?“, oder „Was, wenn ich falsch liege und alle mich ansehen?“.
Diese Grübeleien führen dazu, dass sie sich seltener aktiv einbringen und damit ein wichtiges Potenzial ungenutzt bleibt.
Vergleiche mit Mitschülern: Hochsensible neigen dazu, ihre Leistungen mit denen ihrer Mitschüler zu vergleichen. Dieser ständige innere Wettkampf führt oft zu dem Gefühl, nicht gut genug zu sein, selbst wenn ihre Leistungen objektiv gesehen vollkommen ausreichend oder sogar überdurchschnittlich sind.
Vorbereitungen auf Klassenarbeiten: Beim Lernen setzen sie sich oft selbst unter immensen Druck. Ihre hohen Erwartungen an sich selbst lassen sie das Lernpensum als überwältigende Aufgabe wahrnehmen, wie eine Lawine, die sie überrollen könnte. Statt systematisch vorzugehen, verzetteln sie sich in Details, da sie den Anspruch haben, jedes Thema vollständig und perfekt zu beherrschen.
- Erwartungen aus dem Umfeld: Eltern und Lehrer
Eltern und Lehrer möchten das Beste für die Jugendlichen, doch ihre Erwartungen können unbeabsichtigt Druck erzeugen.
Erwartungen und Ratschläge: Gut gemeinte Hinweise können bei Hochsensiblen das Gefühl hervorrufen, nicht gut genug zu sein. Sie empfinden leicht, dass sie andere enttäuscht haben.
Vorbildwirkung von Eltern oder anderen Bezugspersonen: Hochsensible spüren nicht authentisches Verhalten. Wenn Eltern ihre eigenen Sorgen oder Gefühle überspielen, können Jugendliche den diffusen Druck der Eltern spüren und das unbewusst auf sich beziehen („Ich habe sie enttäuscht“). Eltern, die ständig stark und fröhlich erscheinen und keine Schwächen zeigen wollen, setzen ungewollt hohe Standards. Sie legen die zu erreichende „Latte“ sehr hoch.
- Reizüberflutung: Die Welt als permanente Herausforderung
Der Weg zur Schule mit öffentlichen Verkehrsmitteln, lärmende Klassenräume, ein hektischer Pausenhof – all das führt zu einem „leeren sozialen Akku“.
Es mangelt an Rückzugsmöglichkeiten: Räume der Stille sind in Schulen rar. Ohne „Ladestation“ können sie sich kaum regenerieren und geraten in einen Zustand der Reizüberflutung und chronischer Überforderung.
- Ideale und Selbstkritik: Der innere Maßstab
Hochsensible haben oft hohe moralische Ansprüche und ausgeprägte Werte.
Ehrlichkeit als Prinzip: Sie können in der Regel nicht gut lügen, selbst Notlügen fallen ihnen schwer. Sie hinterfragen Inhalte oder Anforderungen und können diese nicht einfach übernehmen und in einer Klassenarbeit oder einem Test reproduzieren selbst wenn sie die gewünschte Lösung kennen
Ein Beispiel:
Frage:
Welches Bild von Gott zeichnet die Bibel in der Geschichte von Abel und Kain?
Schülerantwort:
Ich habe kein Bild von Gott. Im 2. Gebot steht geschrieben „Du sollst dir kein Bild von Gott machen“, deshalb finde ich es nicht richtig, dass die Bibel ein Bild von Gott zeichnen will.
Für sie unplausible oder unlogische Inhalte bereiten ihnen Mühe. Ihr Drang, kritisch zu reflektieren, erschwert es, Lernstoff unreflektiert wiederzugeben.
Eine achtsame Kommunikation mit hochsensiblen Jugendlichen hilft Druck zu erkennen und zu vermeiden.
Authentisch sein: Jugendliche spüren unauthentisches Verhalten ihnen gegenüber und reagieren darauf empfindlich.
Verständnis signalisieren: Hochsensible Jugendliche sind reife Gesprächspartner und sollten aktiv in die Suche nach Ursachen und Lösungen einbezogen werden. "Ich sehe, dass es dir gerade nicht gut geht. Ich sehe, dass es dir schwer fällt."
Die Schule muss mit ins Boot, wenn sich der Druck im schulischen Bereich zuzuspitzen droht!
Frühzeitige und achtsame Gespräche verhindern ein Abgleiten in langwierige psychosomatische Beschwerden oder gar Schulverweigerung.
Druck gehört zum Leben – das lässt sich nicht immer vermeiden, weder im Alltag noch im späteren Erwachsenenleben. Doch Druck ist nicht nur Belastung; er kann auch eine Einladung zum Wachstum sein. Für hochsensible Jugendliche ist es besonders wichtig, zu erkennen, wann Druck sie stärkt und wann er beginnt, krank zu machen. Hier liegt der Schlüssel: das Eine vom Anderen zu unterscheiden und persönliche 'Druckablassventile' zu entwickeln, die dabei helfen, das innere Gleichgewicht zu bewahren. So lernen sie, mit dem Druck zu tanzen, anstatt unter ihm zu zerbrechen.
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